Penelope Mode über das Phänomen der privaten Öffentlichkeit.
Vor einigen Tagen fragte ich mich, wieviel eigentlich meine Familie von mir weiß: Ich kam zu einem erstaunlichen Ergebnis. NICHTS! Gott sei Dank. Meine Strategie ist aufgegangen. Ich bin und bleibe der anonyme Mensch.
Im Gegensatz zu 90% der restlichen Menschen mit denen ich gezwungen bin zu koexistieren. Da werden im Zug per Handy die Kontodaten zum Mitschreiben ausgeplaudert, da erfährt man von gestressten Mitvierzigern, dass auch Weight Watchers keine Wunder vollbringen kann und man kann sich ein ungefähres Bild davon machen, wie die Affäre mit Klaus-Peter wohl weitergehen wird.
Jeden Tag wird man ungewollt in das armselige Leben seiner Mitmenschen integriert. Das fängt bereits damit an, dass der Klingelton das Lieblingslied von Depeche Mode ist und auf diese Weise der Musikgeschmack preisgegeben wird. Dann wird zunächst einmal abgewartet, bis auch wirklich der gesamte Wagon das selbstgefällig dreinblickende Gesicht mit den geschmacklosen Achtziger-Jahre-Gedenk-Song in Verbindung gebracht hat. Und dann wird auf den grünen Hörer gedrückt, als gäbe es kein Morgen mehr: "Ich werde angerufen, ich bin wichtig, ich bin der MÄN, alle Augen ruhen auf mir!" Das Java-Sparabo-Gedudel gerade überstanden, schrillt eine durch das Kaugummi vermurkste Stimme an alle Ohren: "Ich bin jetzt in der Bahn. Komme um 19 Uhr nach Hause." Aha, ein Zuhause hat man also auch. Und offenbar sogar einen sozialen Kontakt. Akustisch habe ich schon mehr wahrgenommen, als ich wissen wollte. Der im 90°-Winkel abgespreizte Arm verrät zudem, dass die Person sich unglaublich wichtig fühlt. "Ich bin der Manager, ohne mich läuft gar nichts."
Leute, stellt euer Handy auf Vibrationsalarm und säuselt diskret und peinlich berührt in den Hörer, dass der Anrufer gefälligst nicht nerven soll und lasst das Telefon unauffällig in der Tasche verschwinden. Dankeschön.
Die Fahrt mit der Bahn zu meiden kann jedoch keine Lösung sein. Gerade einmal auf der Straße, taucht vor mir prompt ein dunkelblauer Sharan auf. Das Nummernschild "KS 1965" läßt vermuten, dass es sich bei der Fahrerin um eine Kathrin Schmidt handelt, die ihr klischeehaftes Dasein im Jahr 1965 begann. Aber das Phänomen der Ich-AG scheint der Frau nicht zu reichen. Die Aufkleber billig gestalteter Babies mit Windel und Schnuller, geben Aufschluss darüber, dass die Frau mindestens ein- bis zweimal geworfen haben muss. Schemenhaft lassen sich die Namen unter den Babies erkennen. Um mich weiter an dem Klischee zu ergötzen, minimiere ich den Sicherheitsabstsand und beginne mit den Lippen, die Namen der Babies nachzuformen: Leon-Luca und Marie-Sophie. Es ist nicht die Tatsache, dass es sich um Doppelnamen handelt. Daran hat man sich zwischen Amerikakult und Geburtsanzeigen bereits gewöhnt. Vielmehr ist es die Kombination der Namen, die mich aus der Bahn geworfen hat. Warum können die Namen auf den an der Tankstelle erworbenen Stickern nicht Alexander oder Carola lauten? Entsprechende Namen, wie Tyler oder Luca geben nur Menschen, die samstags mit Kind und Kegel aus ihrem Kaff in die Großstadt zum Einkaufen aufbrechen.
Mein Tipp: Wenn man nicht möchte, dass sein Kind in der Schule gemobbt wird, sollte man auf Namen zurückgreifen, die leicht auszusprechen sind und seriös klingen.
Wenn man glaubt, es könne nicht schlimmer werden, gurkt vor einem ein Kleinbus mit dem obligatorischen Fisch unter der Heckscheibe. Schon wieder so ein Christ, der so links ist, dass der Fuß wie von selbst die Bremse betätigt und das Gas auf der rechten Seite nur sporadisch benutzt. Das positive an den verkehrsbehindernden Christen ist, dass sie relativ ungefährlich für ihre Mitmenschen sind. Abgesehen von der alten Dame, die aufgrund der Verkehrsstockung von den Johannitern nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht werden kann. Kritisch wird es erst, wenn ein dicker Porsche auftaucht, dessen Rückteil ein Bild der Umrisse der sinkenden Insel Sylt trägt. Rücksichtslos wird auf die Tube gedrückt, jeder Zebrastreifen ignoriert und so mancher Igel plattgefahren. Wer schon einmal auf der Insel Sylt war und als must-have in der Sansibar ein Fischbrötchen verzehrt hat, wird in den Status eines Übermenschen erhoben. Unentwegt muss ich an Petronius' Satyricon denken.
Mein Tipp: Kauft euch an englisches Auto, damit man das Tommy Hilfiger Emblem auf dem Hemd auch von aussen sehen kann.
Überall auf der Welt gibt es Menschen, die ihren Mitmenschen jedes noch so traurige Detail aus ihrem Leben präsentieren müssen. Als Mitglied bei dem Netzwerk Facebook wird man täglich Zeuge des sozialen Abstiegs von Freunden und Bekannten, die durch unglaublich klischeehafte, furchtbare Hochzeitsbilder von sich Rede machen. Wen interessiert es, was diese Menschen zum Frühstück verzehren, welche Backenzähne ihrer Brut als erstes reifen oder wie schnell der Oberlippenbart bei Henning W. sprießt? Interessant wird es, wenn man durch Facebook erfährt, wo Leute gearbeitet haben. Sabine V. hat zwei Jahre lang bei Penny Mart GmbH gearbeitet, vor einem Jahr gekündigt und vor zwei Monaten einen Job bei IKEA angenommen. Frauke A. absolvierte 1998 ihren Hauptschulabschluss an der Mette-Marit-Gesamtschule Gifhorn. Detlef O. findet sich gerade selbst.
Mein Tipp: Wenn man es schon nötig hat, sein Privatleben der Öffentlichkeit wie geleehaltiges Katzenfutter aufzutischen, dann bitte nur erfolgreiche Ereignisse preisgeben. Und die Kündigung bei Wurst Bazar & Co. KG gehört hier nicht dazu.
Liebe Mitmenschen, ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und Stolz kann nicht verkehrt sein. Sollte das Selbstwertgefühl jedoch in Selbstgefälligkeit ausarten, wird es kritisch. Behaltet bitte den Schund über eure Blagen für euch, präsentiert eure Initialen nicht prompt auf dem Nummernschild und belästigt lediglich eure Familie mit dem Gott, zu dem ihr betet. Hört bitte auf, Bilder im Internet hochzuladen, die grottige Schlafzimmereinrichtungen und kuscheltierverseuchte Kinderzimmer zeigen, denn seid euch gewiss: Euer Ansehen sinkt, ihr macht euch zum Affen und ihr werdet verstoßen... - ganz bestimmt!!!
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